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16.04.2021

Museumssnack

Selten sind Portraits streng realistische Darstellungen einer Person. Meist dienen sie der Selbstdarstellung eines Menschen, der ein ganz bestimmtes Bild von sich schaffen möchte. Das gilt auch für Daniel Albrecht Thaer. Auf dem Protrait von ihm in unserer Ausstellung „Heide – Honig – Hightech: Eine Region im Wandel“ sieht man Thaer im Vordergrund sitzend. Auf dem Tisch zu seiner rechten liegen Feder und Papier, während im Hintergrund ein Bauer mit einem Pflug das Feld bestellt. Thaer selbst zeigt sich hier als Akademiker, als gebildeten Mann, der der Wissenschaft und Theorie zugeneigt ist, der denkt und mit seinem Wissen als Lehrer für die Bauern dient. Dieser Thaer ist ein Symbol dafür, wie ein Zeitgeist die Sicht auf die Welt und den Umgang mit ihr in allen Bereichen veränderte. 

Daniel Albrecht Thaer

Was macht diesen Mann so spannend und einflussreich bis heute? Sein Leben begann eher unspektakulär: 1752 in Celle als Sohn eines Arztes geboren, besucht Thaer zunächst die Bürgerschule – das spätere Ernestinum -, bevor er nach Göttingen aufbrach, um zu studieren. Zurück in Celle praktizierte er zunächst in der Praxis seines Vaters, bevor er 1796 zum königlich-kurfürtslichen Leibarzt ernannt wurde. So weit, so… wenig spannend.

Das spannende entwickelte sich in Thaers Freizeit. Auf der Suche nach einem Ausgleich zu seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt wendet er sich zunächst den Blumen in seinem Garten zu und schließlich im viel größeren Maßstab der Landwirtschaft. Das Thema nimmt in so ein, dass er sich in der Königlichen Landwirtschaftsgesellschaft mit Gleichgesinnten trifft und fachsimpelt. Woher diese Faszination für die Landwirtschaft?

Daniel Albrecht Thaer

Am Ende des 18. Jahrhunderts steckt die europäische Landwirtschaft in der Krise. Die Bauern sind meist unfrei, ihre Parzellen klein, ihre Arbeitstechniken vollkommen veraltet, ihre Erträge gering. Gleichzeitig wachsen die Gesamtbevölkerung und Städte. Im Ergebnis werden Lebensmittel knapp und ihre Preise horrend. Das birgt sozialen Sprengstoff. Nicht zuletzt spielten hohe Brot- und Getreidepreise eine wichtige Rolle während der Französischen Revolution. Die Landwirtschaft zu reformieren und die Versorgung so zu sichern ist eines der drängendsten und meist diskutierten Probleme der Zeit.

Thaer, der nie als Bauer gearbeitet hat, eignet sich dabei die Grundlagen der Landwirtschaft so an, wie er es als studierter Akademiker gewohnt war: Mittels Bücher und Experimenten. Er liest deutsche und englische Literatur, Sachbücher über landwirtschaftliche Techniken, Natur- und Pflanzenkunde oder auch Ökonomie. Dabei vergleicht und hinterfragt er kritisch. Bereits 1786 erwirbt er Land – Thaers Garten .-, wo er Feldversuche durchführt. Thaer sucht nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakten, die ihm zeigen, wie man einen landwirtschaftlichen Betrieb am besten führen sollte. Er versucht die Landwirtschaft zu rationalisieren.

Daniel Albrecht Thaer

Damit ist er ganz Sohn seiner Zeit. Im 18. Jahrhundert ergreift die Aufklärung als Bewegung das aufstrebende Bürgertum. Dieser Begriff, der uns allen vermutlich schon einmal in der Schule über den Weg gelaufen ist, meint im Grunde nichts anderes, als dass nicht länger die biblische Wahrheit Richtschnur für Erkenntnis sein sollte. Normen und Meinungen sollten nicht länger allein aufgrund von Tradition und Autorität Gültigkeit besitzen. Allein der menschliche Verstand, der alles durch Kritik und Gegenkritik prüft und hinterfragt, sollte das Denken und Handeln leiten. Dieses Vertrauen in die Erkenntnisfähigkeit des Menschen basierte nicht zuletzt auf den rasanten naturwissenschaftlichen Fortschritten jener Zeit.

Thaer handelte als im Sinne dieses neuen Weltbilds und des bekannten Ausspruchs Kants: Er hatte den Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Er setzte nicht auf tradiertes Wissen, sondern trug vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen und übertrug sie systematisch und konsequent auf landwirtschaftliche Problemstellungen. Am besten ersichtlich wird dies aus dem Lehrplan seiner landwirtschaftlichen Lehranstalten: Es standen Mathematik, Geographie, Boden- und Pflanzenkunde, Düngelehre, Laborübungen und Exkursionen auf dem Plan. Damit unterschied sich seine wissenschaftliche Lehrmethode enorm von der traditionellen Weitergabe des Wissens von einer Bauerngeneration zur nächsten auf dem Land.  

Daniel Albrecht Thaer

Und heute? Thaer scheint nach über 250 Jahren in manchen Bereichen veraltet. Vor allem an der von ihm entworfenen intensiven Landwirtschaft wird heute mit Blick auf Tierwohl, Natur- und Klimaschutz Kritik laut. Die ökologische Landwirtschaft beschreitet Wege, die scheinbar völlig entgegengesetzt zu Thaer verlaufen. Doch auch die ökologische Landwirtschaft ist eine rationale Landwirtschaft die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Schulung basiert. Sie handelt so noch immer im Sinne Thaers und der Aufklärung. Das kann kaum wundern. Denn auch heute noch sind wir eine Wissensgesellschaft, in der vor allem Vernunft und Erkenntnisgewinn das Handeln bestimmen. Wie lang wird das (noch) so sein? Wird es irgendwann eine „post-rationale“ Zeit geben?