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25.03.2021

Museumssnack

Die Morgentoilette gehört vermutlich bei den meisten von uns zum alltäglichen Start in den Tag. Beim einen geht sie recht schnell, der andere lässt sich etwas mehr Zeit für Duschen, Toilette, Zähne putzen, Föhnen, Kämmen und Stylen. Und nicht selten gelten Letztere als ein wenig eitel...

Die Morgentoilette

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam die Morgentoilette als Ritual bei den städtischen Bürgern immer mehr in Mode. Aus dieser Zeit stammt der Toilettentisch aus unserer Ausstellung "Herd und Heim - Bildung und Verein: Bürgerkultur in Celle". Zu finden ist er dort im Schlafzimmer des bürgerlichen Stadthauses. Er diente den Bewohnern vor der flächendeckenden Verbreitung von fließend Wasser, Kanalisation und Badezimmer der Befriedigung aller körperlichen Bedürfnisse. Schale, Kanne und Seife wurden zum ausgiebigen Waschen genutzt. In einer bodennahen Schublade befand sich ein Nachttopf für den Toilettengang. 

Die Morgentoilette

Die Verbreitung solche Toilettentische am Beginn des 19. Jahrhunderts kam nicht grundlos. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts war Wasser zum Waschen verpönt und Parfümieren die en vouge. Doch ab etwa 1750 empfand man Körpergerüche vermehrt als lästig und ekelig. Zeitgleich verstand man im Zuge der Aufklärung auch den menschlichen Körper als Maschine, die es zu pflegen galt, wollte man seine Leistungsfähigkeit erhalten. 

Die Morgentoilette

Selbstdisziplin zum Erhalt und zur Steigerung der eigenen Leistung gehörte zum Kern der bürgerlichen Kultur, bei der man davon ausging, dass jeder Mann Herr über sich und sein eigenes Glück ist. Im Bürgertum entwickelte sich im Bereich der Körperpflege so ein wahrer Körperkult zur Selbstoptimierung. Es entstand eine breite Masse an populärwissenschaftlicher Literatur sogenannter Hygieniker, die mal mehr, mal weniger gute Ärzte waren. Sie entwarfen Anweisungen für Waschrituale, die gern zwei Stunden dauerten und durchaus schmerzhaft sein könnten, da man häufig die Haut rubbeln sollte, bis sie rot war. Aber auch zu Diäten und der Zugelüng der eigene Sexualität (vor allem Masturbation) riet man, um die Gesundheit des Körpers zu erhalten.

Ziel dieses Körperkults war die Abgrenzung von anderen sozialen Gruppen. Der Goldstandart der Hygieniker war der bürgerliche, weiße, europäische Mann, der angeblich allein die Selbstdisziplin zum Körperkult aufbrachte, daher leistungsfähiger war und somit höher in der sozialen Hierarchie stand. Bauern hingegen galten als ungebildet und daher schmutzig, Frauen als hysterisch, ihren natürlichen Trieben zügelos ausgeliefert und Nicht-Europäer als zu unkultiviert. Die Lehre der Hygieniker lieferte so schließlich Chauvinismus, Rassismus und Eugenik Vorschub. 

Die Morgentoilette

Klingt alles nach einer Absurdität der Geschichte? Weit gefehlt! Auch heute begegnet uns an vielen Orten ein latenter Körperkult der Selbstoptimierung, dargestellt in sozialen Medien, gestützt von einer milliardenschweren Industrie, die Fitness-Gadgets und Protein-Shakes verkaufen will. Und wird nicht auch durch unseren heuteigen Körperkult Abgrenzung gesucht, indem ein körperliches Ideal zum erstrebenswerten Standart erhoben wird, das alle erreichen, die willens und in der Lage sind, hart genug an sich selbst zu arbeiten, währen alle anderen Körperformen für Trägheit und Willensschwäche stehen?