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26.07.2021

Museumssnack

Jeden Morgen stellt man sich die gleiche Frage: Was soll ich heute anziehen? Dabei gibt es so viele Faktoren zu beachten. Es gibt leichte und luftige Kleidung für den Sommer, mit kurzen Ärmeln und Beinen; es gibt dicke und warme Kleidung für den Winter und Übergangskleidung für irgendwas dazwischen, wie auch immer man dies definiert. Es gibt förmliche Kleidung für förmliche Anlässe, legere Kleidung für den Alltag und Sportkleidung für den Sport oder zum gemütlich auf dem Sofa liegen. Und natürlich gibt es auch hier was dazwischen, für alle, die sich nicht festlegen lassen wollen. Es gibt Kleidung, die Aussagen trifft über die Zugehörigkeiten zu sozialen oder beruflichen Gruppen. Und es gibt Kleidung, die im Trend liegt, Kleidung die noch vor ein paar Monaten im Trend lag und jetzt schon langweilt, Kleidung, die schon den Gegentrend von Morgen in sich birgt und scheinbar zeitlose Klassiker… ach… und allgemein gibt es doch einfach viel zu viel Kleidung!

Das Rad der Modeindustrie dreht sich immer schneller und schneller. Aus Sommer- und Winterkollektion wurden Frühjahrs-, Sommer-, Herbst- und Winterkollektion und heute die Kollektion dieses Monats und die Kollektion des nächsten Monats. Denn je schneller die Trends sich abwechseln, desto häufiger fühlen wir uns motiviert oder genötigt, neue Kleidung zu kaufen. Im Schnitt besitzen die Deutschen 118 Kleidungsstücke – Unterwäsche nicht mit eingerechnet. Etwa 20% davon wird selten oder nie getragen, bevor sie den neuesten Erwerbungen Platz machen muss und meist einfach im Müll landet. Warum sich auch die Mühe machen, ein T-Shirt zu flicken, wenn man für ein neues teilweise weniger zahlt, als für ein belegtes Brötchen. Fast Fashion nennt sich dieses Phänomen, bei dem Kleidung zu billiger Wegwerfware verkommt. 

Flachs

Dem gegenüber steht ein alter Ausspruch früherer Bauern und Bäuerinnen: Der Flachs geht neun Mal durch des Menschen Hand, bis er ihn als Leinwand auf dem Leibe trägt. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die bäuerliche Bevölkerung auch hinsichtlich ihrer Kleidung Selbstversorger. Neben Schafswolle war auch in der Region Celler Flachs der wichtigste Rohstoff. Aus den holzigen Halmen des Flachs konnten man hochwertige Pflanzenfasern gewinnen, die zu hochwertigen Stoffen weiterverarbeitet werden konnten. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Der Flachs wurde etwa im April ausgesät, woraufhin die Felder per Hand von Unkraut befreit werden mussten. Auch die Ernte geschah per Hand, indem man den Flachs samt Wurzel ausriss. Nun mussten zunächst mit einem groben Kamm die Kapseln mit den Leinensamen entfernt werden, bevor man den Flachs längere Zeit der Witterung aussetzte, damit sich die Pflanzenfasern von den holzigen Bestandteilen trennten. Danach wurde der Flachs behutsam in Öfen getrocknet, bevor beim Brechen und Schwingen die Fasern endgültig von allen hölzernen Bestandteilen gereinigt wurde. Nun musste man die Fasern nur noch mit dem Riffelkamm in die gleiche Richtung ausrichten und dabei kurze Fasern auskämmem, anschließend die langen Fasern mit dem Spinnrad zu Garn verdrehen und abschließend das Garn mit einem Webstuhl zu Leinenstoff weben… puh!

Flachs

Mit diesem hohen Arbeitsaufwand verband sich für die bäuerliche Bevölkerung ein ganz anderer Wert mit dem Stoff und der späteren Bekleidung. Schon das Flachs wurde als Rohstoff streng bewacht. Die Kleidung später wurde pfleglich und schonend behandelt. Ging sie mal kaputt, wurde sie geflickt oder zumindest umgenutzt. Der Wert entstand auch dadurch, dass Flachs und Kleidung nicht unbeschränkt zur Verfügung standen. Der intensive Flachsanbau ließ eben nur einmal im Jahr die Produktion von neuem Leinen zu. Entsprechend erhielten viele Mägde auch nur einmal im Jahr Rohflachs als Teil ihrer Bezahlung, um sich daraus eigenen Leinen herzustellen. Die Anzahl an Kleidungsstücken war äußerst begrenzt.

Flachs

Mitte des 19. Jahrhunderts kommt jedoch der Anbau und die Verarbeitung von Flachs in der Region Celle und allgemein in Deutschland zum Erliegen. Sie lohnten sich nicht mehr. Durch die zunehmende Vernetzung der Welt mit Dampfschiffe und Eisenbahnen war es einfacher und billiger, Flachs aus anderen Regionen einzukaufen oder gleich ganz auf Baumwolle umzusteigen. Denn die hat einen großen Vorteil: Sie kann direkt nach der Ernte gesponnen werden, was viel Arbeit, Zeit und Geld spart. 

Flachs

Doch wenn man es genau nimmt, ist Baumwolle keine wirklich sinnvolle Alternative. Der Anbau von Baumwolle ist einer der größten Wasserverbraucher. Für ein T-Shirt aus Baumwolle werden je nach Region und Anbauweise 2000 bis 20.000 Liter Wasser benötigt. Auch andere Fasern sind nicht umwelt- und klimaschonender: So entsteht bei der Produktion von Schafswolle eine enorme Menge Methan – ein Treibhausgas. Und überhaupt werden heutzutage hauptsächlich Kunststofffasern aus Plastik – also aus dem Rohstoff Öl – genutzt. So ist die Modeindustrie mittlerweile für 10% der weltweiten Emission von Treibhausgasen verantwortlich. Außerdem verschmutzen die Kunststofffasern sowie die bei ihrer Produktion genutzten Chemikalien Flüsse und Meere. Allein 35% des Mikroplastiks in den Weltmeeren stammt von Kleidung aus Kunststofffasern. Und dabei sind diese Stoffe nicht einmal sehr langlebig und auch nur schlecht wiederverwendbar. Fast Fashion produziert also umweltschädlich für Mülltonne. 

Flachs

Und das ist nur ein Problem der Fast Fashion. Baumwolle hatte im Gegensatz zu Leinen den Marktvorteil, dass er auf großen Plantagen angebaut wurde, wo meist Sklaven Anbau und Ernte übernehmen mussten. Und noch heute wird Baumwolle in Billiglohnländern hergestellt, wo die Arbeiter und Arbeiterinnen einen Lohn erhalten, der nicht einmal ein Leben am Existenzminimum ermöglicht. Ähnlich sieht es für Näherinnen etwa in Bangladesch aus. Diese arbeiten im Schnitt 80 Stunden die Woche, um für ein T-Shirt weniger als 10 Cent Lohn zu erhalten.

Kein Wunder, dass sich der Fast Fashion die Slow Fashion als aktueller Gegentrend entgegenstellt. Als Teil des globalen Supertrends Fair Trade geht es hierbei um eine faire und nachhaltige Modeindustrie. Und dazu entdeckt man quasi die Vergangenheit wieder. Denn zum einen setzt der Trend darauf, Stoffe und Kleidungsstücke mehrfach zu nutzen, etwa indem man bei Second-Hand-Läden kauft und verkauft oder seine Kleidung flickt oder umschneidert. Denn je häufiger ein Kleidungsstück getragen wird, desto besser seine Klimabilanz. Nichts Anderes tat bereits die bäuerliche Bevölkerung mit ihrer Kleidung vor etwa 200 Jahren. 

Zum anderen setzt man auf natürliche, nachhaltige und fair gehandelte Rohprodukte. Und hier finden Flachs und Leinen ein Revival. Zwar sind der Anbau und die Weiterverarbeitung von Flachs aufwändig. Aber er ist auch anspruchslos im Wasserverbrauch. Als bei uns heimische Pflanze kommt er auch gut ohne Pestizide oder Dünger aus. Ja, durch das Taurösten – also dem der Witterung aussetzen – zersetzt sich der Flachs teilweise und führt dem eigenen Ackerboden bereits wieder Nährstoffe zu. Und schließlich ist Leinen äußerst langlebig. Es reißt nur sehr schwer, fusselt kaum und verliert nur wenige Fasern. 

Also sollten wir heute alle wieder Leinen tragen, wie es die Bäuerinnen und Bauern, Mägde und Knechte vor etwa 200 Jahren noch getan haben? So leicht ist es leider nicht. Für Flachs gilt dasselbe, wie für alle anderen natürlichen Fasern, die man versucht ökologisch und nachhaltig anzubauen: Der Ertrag ist viel geringer, als bei konventioneller, industrieller Produktion. Er liegt im Vergleich bei nur 20%. Entsprechend ist auch der Preis für Kleidung aus Leinen recht hoch. Umso wichtiger ist es, dass wir die gegenwärtige Wegwerfkultur hinter uns lassen und ein Stück weit zur Kultur des Reparierens und Umnutzens früherer Gesellschaften zurückkehren. Zum Beispiel, indem man mit dem nächsten Loch in der Jeans einfach ins Repair Café des Bomann-Museums kommt und sich dort kompetent von unseren Ehrenamtlichen an der Nähmaschine helfen lässt.